Maria Luiza Pyrlik - Zeitgenössische Kunst aus Krakau, Polen (2007)

Mariusz Salwinski
artdesigncafé - art | Publiziert 30. September 2011
Der Text wurde zunächst im Ausstellungskatalog veröffentlicht ,,Otwarta pracownia— Offenes Atelier, Zeitgenössische Kunst aus Krakau" (16. September - 4. November 2007) Kunsthalle Erfurt, Deutschland.

Maria Luiza Pyrlik, die Lichtregisseurin

,,Uber die Photographie gibt’s nichts zu sagen, man muss hinschauen." Dies pflegte der franzosische, im Jahr 2004 verstorbene Photograph Henri Cartier-Bresson immer zu betonen. Sein Credo trifft auch auf die Photoarbeiten von Maria Luisa Pyrlik zu. Ein Zyklus ihrer Arbeiten ist unter anderem wahrend ihres Aufenthaltes im Bergischen Land— östlich von Koln/ Bonn— entstanden. Die Künstlerin betrachtet diese provinzielle, häusliche Gemütlichkeit mit Geranienkaskaden an den Fassaden der Hauser mit groBer Strenge. Doch die Quintessenz der ländlichen Architektur, nämlich das Fachwerkhaus und seine Umgebung, sind dem Kunstbild erhalten geblieben.

An diesen Häusern fällt ihr auf, was uns sonst flüchtig und uninteressant vorkommt. Das Mauerwerk, Dachziegel, Schiefer, Kalk- und Basaltstein und Ziegelwände sind Inhalte ihrer Arbeiten. In dieser ,,fundamentalen" Materialitat spielt sich die Kunst von Maria Luiza Pyrlik ab. An den Gegenständen beobachtet sie den Wechsel von Licht und Schatten in kurzen Zeitabständen. Das heißt, ein Photobild besteht immer aus zwei zeitlich versetzten Aufhahmen. Die schwarze Linie dazwischen können wir als Trennung oder Bindeglied verstehen. Innerhalb dieser Dualität des Bildes bleibt virtuell immer das gleiche Motiv präsent. Feine Differenzen bedeuten, dass die Kunstlerin keinerlei Verschiebungen der photographierten Bereiche vornimmt.

Im Zyklus ,,Abschnittsequenzen" verabschiedet sich Maria Luiza Pyrlik von jeglicher Gegenständlichkeit. Die schwarze und schattenartige Fläche des Bildes wird von einem weißem Strahl durchdrungen. Die dadurch hervorgerufene Raumimagination gibt dem Betrachter das Gefühl, dass er selbst die Tür zu einem unbekannten, schwarzen Kosmos öffnen könnte. An der Grenze zwischen dem Schwarzen und Weißen können wir in zwei Aufnahmen ein Stückchen eines Bildes erkennen, das wie ein für die Versendung fertiges Paket aussieht. Die Zerknitterung an der Fläche des Packpapiers. die durch das Klebeband entstand, lasst uns erahnen, dass es sich um den Keilrahmen des Bildes handelt. Bedeutet dieses Stück eines von hinten gezeigten, umhüllten und für die Versendung vorbereiteten Bildes den endgültigen Abschied der Künstlerin von der klassischen Malerei? Unsere Neugierde wird nie gestillt. Im Zyklus ,,Bilder an den Wänden" aus den Jahren 2004-5, der aus der erwähnten Reihe ,,Abschnittsequenzen" hervorgeht, verwendet die Künstlerin die gieiche Arbeitsweise: Das heißt, sie ,,malt" ihre Bilder mit dem Lichtstrahl auf den dunklen Hintergrund und bezieht die poröse Wandfläche ein. In den Arbeiten ,,Lichtquellen"— ebenfalls aus den Jahren 2004-5— eignet sich Pyrlik die schon vorhandene natürliche Lichtquelle der Sonne an. Obwohl die primäre Projektion des Lichtes sich auf die fast quadratische Fensteröffhung konzentriert, wird die zweite Projektion des Lichtes im dunklen Raum durch in Szene gesetzte Reflexe im Spiegel oder auf der Glas-beziehungsweise Fliesenfläche sichtbar.

Maria Luiza Pyrlik lässt sich bei ihren Streifzügen durch die Kunstgeschichte genauso von der niederländischen wie von der englischen Malerei anregen. Die aufgespürten Licht-Motive werden in ihren Bildern adaptiert. So erinnert die Komposition des ersten Bildes aus der Serie ,,Lichtquellen" sehr an die Fenster-Spiegelstaffage des berühmten Bildes ,,Giovanni Amolfini mit seiner Frau" von Jan van Eyck aus dem Jahre 1434, heute in der National Gallery in London: Die zweite Ebene des Geschehens befindet sich außerhalb des Bildes, verschlusselt im Spiegel, der an der Hinterwand des abgebildeten Raumes hangt. Das Bild Nr. 8 erweckt gewisse Assoziationen mit der ,,Siesta" von John Friedrick Lewis (1876) aus der Tate Gallery in London, in der eine mediterrane Rattanveranda im gleißenden Licht der Sonne ,,badet". Auch hebt Pyrlik weitgehend die Grenze zwischen den Raumen— ,,hell— auBen", ,,dunkel = innen"— auf. Die natürlichen Elemente des Außenbereichs erscheinen in der lichtgefluteten Fensterfläche mit dem vegetabilen Muster der Gardine und den grünen Topfpflanzen auf der Fensterbank verwoben. Die rosa-weißen Voile-Gardinen und Schabracken leiten ins Dunkel des Raumes über.

In den Pleinairs, welche die Künstlerin seit Jahren in Frankreich mitveranstaltet, geht Sie unter anderem der Frage der Vergänglichkeit nach, die sie anhand der Veränderung unterschiedlichen ,,biologischen Materials”— Gras, Erde, Blätter— darstellt.

Maria Luisa Pyrlik bewegt sich freizügig und gekonnt zwischen den Medien Malerei, Photographie, Video und Installation. Dies geht mit einer großen künstlerischen Konsequenz einher, mit der sie ihre Arbeiten über die verschiedenen Medien hinweg wunderbar miteinander verbindet.

Mariusz Salwiński
Ausstellungskurator

Vgl. Einführung des Ausstellungskataloges Otwarta pracownia— Offenes Atelier, Zeitgenössische Kunst aus Krakau.