Grzegorz Sztwiertnia - Zeitgenössische Kunst aus Krakau, Polen (2007)

Mariusz Salwinski
artdesigncafé - art | Publiziert 30. September 2011
Der Text wurde zunächst im Ausstellungskatalog veröffentlicht ,,Otwarta pracownia— Offenes Atelier, Zeitgenössische Kunst aus Krakau" (16. September - 4. November 2007) Kunsthalle Erfurt, Deutschland.

Grzegorz Sztwiertnia, der Provokateur

Die Sexualität ist ein Teil unseres Verhaltens, unserer Freiheit. Sie ist etwas das wir hervorbringen und das sehr viel weiter reicht als bis zur Entdeckung der Nachtseite unserer Begierde, nämlich bis hin zu neuen Formen der Beziehungen, der Liebe, des Schaffens. Das Geschlecht ist kein Verhängnis: es ist eine Möglichkeit schöpferischen Lebens. Es reicht nicht aus, uns als Schwule zu bejahen, wir müssen auch eine schwule Lebensweise hervorbringen. [1]

— Michel Foucault

In der Sexualforschung herrscht Konsens darüber, dass die Bedeutung der Sexualität für Menschen immer mit deren gesellschaftlicher Lage, Anerkennung und Akzeptanz verbunden ist. Der Mensch ist unendlich angreifbar, sobald ihm ein Gefühl des Ausgeschlossenseins vermittelt wird, seine Sexualität auf irgendeine Weise in Frage gestellt beziehungsweise als abartig eingestuft wird. Die Ghettoisierung der Sexualitat, die gewissen Normen nicht entspricht, hat zur Folge, dass betreffende Minderheiten durch die Obrigkeit stigmatisiert werden. Zum alltäglichen Mittel der Diffamierung im Rahmen der Gesellschaftsordnung, in der einem unterstellt wird, man sei das Böse, gehört die hierarchisch-wertende Sprache, denn gerade Wörter haben gesellschaftliche Folgen, sind wichtig in politischer und kultureller Hinsicht. In der heutigen Zeit ist somit der intellektuelle wie kulturelle Kampf um die Sprache von entscheidender Bedeutung.

Die respektlose und radikale Institutionenkritik im Bezug auf die angespannten Beziehungen zwischen der römisch-katholischen Kirche und der Gemeinschaft der Homosexuellen nimmt Grzegorz Sztwiertnia aufs Korn. In den Photocollagen seiner Serie ,,Der Exorzist" begegnen wir der bewussten Verbindung der Bilder dieser zwei Welten, die in ihrer Aussage extrem unterschiedliche Botschaften vermitteln.

Die Verdichtung der waghalsigen Zitate in der Kunst Sztwiertnia’s bedarf an dieser Stelle der Erläuterung. Die römisch-katholische Kirche repräsentiert sich— und zwar im Weltmaßstab— über Photoaufnahmen aus der Begräbniszeremonie des polnischen Papstes (April 2005). Die kirchlichen Würdenträger aus der ganzen Welt, die den Papst auf seinem letzten Weg begleiteten und in unterschiedlichsten Medien abgelichtet wurden, collagiert Sztwiertnia in die Räume der Kunstgalerie ,,Kronika" in Bytom (Oberschlesien) hinein, in der zugleich die homosexuellen Graphiken von Jean Cocteau überdimensional vergrößert ausgestellt sind. So verpflanzt der Künstler ein Photo, auf dem die Kardinäle ihre Plätze direkt hinter dem Sarg des Papstes für das Requiem einnehmen, ins Treppenhaus der Galerie und erweckt den Anschein, als ob diese Gesellschaft zur Eroffhung einer Ausstellung gehöre. In einem Ausstellungsraum, an dessen Wand sich eine Illustration (Zeichnung) von Cocteau für den Kurzroman ,,Querelle de Brest" von Jean Genet (1947) mit zwei beinahe kopulierenden Männern befindet, sehen wir eine Reihe von Gerätschaften, die auf Vorbereitungen für eine Vorlesung hindeuten. An einer Projektionswand wird Cocteaus ,,Schwule Variation" von Michaelangelos Fresco ,,Erschaffung Adams" aus der Sixtinischen Kapelle (1508-1511) gezeigt. In der Mitte des Galerieraumes erkennen wir aus der Veranstaltung im Vatikan zwei Geistliche, die das Evangeliarbuch auf dem Sarg des Papstes aufschlagen, den Sztwiertnia hier jedoch durch einen Tisch ersetzt. In Bezug auf das Galerieinterieur könnten die Kirchenvertreter als Redner interpretiert werden. Eine weitere Collage zeigt den Hauptraum der Galerie, in dem wiederum eine Anzahl von Cocteaus ,,Oralverkehr-Darstellungen" ausgestellt sind. Im Hintergrund der Galerie, am Informationsdesk, befinden sich vier junge Personen, die ziemlich neutral wirken. In der Mitte des Raumes sehen wir den im offenen Sarg aufbewahrten Leichnam des Papstes, links und recht flankiert von zwei Kirchenmännern. Der Mann an der rechten Seite des Sarges bedeckt das Gesicht des Verstorbenen mit einem weißen Tuch.

Das angestrebte Sakrileg beziehungsweise der Konfrontationscharakter der ganzen Serie und besonders dieses Bildes sind evident. Die Auswahl der Zeichnungen von Jean Cocteau aus den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts kommt nicht von ungefähr. Die meisten theoretischen Reflexionen über Homosexualität in der Philosophie und Literatur (Gide, Proust. Sartre, Foucault und Genet) wurden in Frankreich gerade in dieser Zeit veröffentlicht. Oft erscheint der Künstler selbst im weißen Kittel eines Arztes, mit erhobenen Händen, in einer abwehrenden Haltung.

Grzegorz Sztwiertnia, der sich selbst als Seelenheiler, Erzieher und Instrukteur bezeichnet, leistet mit diesem Bildzyklus einen individuellen Beitrag zur in Polen aktuellen, medial sehr zugespitzten politisch-gesellschaftlichen Debatte über Modelle altemativen Lebens und die Rechte von Minderheiten. Dies wird mittlerweile auch in Deutschland und im europäischen Kontext nicht nur aufmerksam beobachtet, sondern führte auch zur aktiven Anteilnahme einiger deutscher Prominenter an entsprechenden Veranstaltungen in Polen.

Mariusz Salwiński
Ausstellungskurator

Anm. 1
Michel Foucault (1926-1984), französischer Philosoph.

Vgl. Einführung des Ausstellungskataloges Otwarta pracownia— Offenes Atelier, Zeitgenössische Kunst aus Krakau.